Aller guten Motivationsphasen sind vier!

Warum lesen Sie gerade jetzt die schulpraxis, statt vielleicht ins Kino zu gehen? Warum tun wir Menschen in einem bestimmten Moment gerade das, was wir tun? Solche Fragen führen mitten ins Gebiet der Motivationspsychologie. Heute versteht man Motivation nicht mehr als fixe Charaktereigenschaft (dumm, gescheit, faul…), sondern betont stets den Zusammenhang von Persönlichkeit und Handlungssituation: Wir Menschen sind weder in jeder Situation gleich stark noch für alle Beschäftigungen gleichermassen motiviert. Damit stellt sich die Frage, in welchen Stadien von Lernprozessen die Motivation der Lernenden wie gefördert werden kann. Die beiden deutschen Psychologen Gollwitzer und Heckhausen haben ein Handlungsphasenmodell entwickelt, das für die Schule von grosser praktischer Bedeutung ist. Darum soll es zusammengefasst und kommentiert werden.
 

Abwägen: Erfolg ist absehbar

Vor jeder Handlung, auch vor einer zu erbringenden Lernleistung, wägt das Individuum ab. Soll ich zum Beispiel die Englisch-Wörter lernen, oder verschiebe ich dies besser auf morgen? Reizt mich diese Aufgabe gerade jetzt? Bringe ich diese Wörter überhaupt in meinen Kopf hinein? Wichtig ist in dieser Abwägephase, dass die Lehrperson den zu lernenden Stoff als interessant, spannend und wichtig darstellt. Das kann sie dann am besten, wenn sie den Stoff selber auch spannend und interessant findet. Gleichermassen wichtig ist in dieser Phase, dass die subjektive Erfolgserwartung unterstützt wird. Wenn die Englischlehrerin ihre Schülerinnen und Schülern ermutigt und ihnen zeigt, wie sie innerhalb nützlicher Frist diese Wörter lernen können, fällt das Beginnen leichter. Abgeschlossen wird die Abwägephase durch den Entschluss: Ich mache dies, mit Cäsars Worten: «Ich überschreite den Rubikon.»

Planen: Ziel ist in Reichweite

Damit hat die Planungsphase begonnen: In welchen Schritten gehe ich nun vor? Wann beginne ich mit dem Lernen der Englischwörter? Mit welcher Methodik? Mit einem Wörterbüchlein? Oder mit Kärtchen? Eine gute Lehrperson unterstützt diese Handlungsplanung mit präzisen Anweisungen, sodass die Lernenden genau wissen, was sie zu lernen haben. Eine gute Chance auf Realisierung haben zudem spezifische, zeitlich naheliegende und herausfordernde Ziele. Wenn der Erfolg in Reichweite ist, ist die Motivation des Schülers, der Schülerin grösser, als wenn sich das Ziel erst in einem Jahr erreichen lässt. Bei längerfristigen Zielen macht es Sinn, diese in kürzere Teilziele zu zerlegen.

Handeln: Arbeitsplatz ist geeignet

In der Handlungsphase muss gehandelt, gelernt werden. Schutz vor Ablenkung, zum Beispiel vor Telefonanrufen oder Computergeräuschen (zum Beispiel eintreffende Mails) sowie ein geeigneter Arbeitsplatz sind dann wichtig. Zudem förderlich sind Lerntechniken und die Vermittlung von Selbstbeobachtungsfähigkeiten. Wenn Schülerinnen und Schüler zum Beispiel in der Schule darüber sprechen, wann und wie sie sich die Englischwörter gut einprägen konnten, vergleichen sie mit ihrer eigenen Lerntechnik und lernen dadurch unter Umständen, sich selber besser beim Lernen zu beobachten.

Bewerten: Aufwand hat sich gelohnt

Nach jedem Lernprozess wird Bilanz gezogen: Hat sich der Aufwand gelohnt? Wenn zum Beispiel eine Lehrperson die Hausaufgaben nicht beachtet, kommen die Lernenden wohl zu einer ungünstigen Handlungsbewertung: Wäre ich nicht mit weniger Aufwand besser gefahren und hätte noch draussen spielen können? Wozu der ganze Aufwand? Diese vierte Phase der Motivationsförderung wurde früher zu wenig beachtet. Motivation spielt vor, während und auch nach einer Handlung eine bedeutende Rolle! Wie erklären sich die Schülerinnen und Schüler ihren Erfolg oder Misserfolg? Führen Mädchen zum Beispiel gute Mathematiknoten auf Glück zurück, so ist dies ihrem Realitäts- und Selbstbewusst-sein nicht förderlich. Wichtig ist, die realen Gründe sowie die eigene Beitragsleistung für den Erfolg zu erkennen und auf dieser Basis die richtigen Konsequenzen für zukünftiges Lernen zu ziehen. Mündliche oder schriftliche Kommentierungen oder ein Lob zur rechten Zeit können beflügeln und anspornen. Auch öffentliche Vorführungen oder eine mitreissende Performance können neuen Schwung verleihen, wie dies im bekannten Dokumentarfilm «Rhythm is it» anhand der gelungenen Aufführung von Strawinskys «Le sacre du printemps» miterlebt werden kann.

In Anlehnung an das bekannte Handlungsphasen-Modell von Gollwitzer und Heckhausen konnten natürlich bei Weitem nicht alle pädagogischen Konsequenzen der Motivationspsychologie zusammengetragen werden. Aber allein die Einsicht, dass Motivationsförderung in allen vier Phasen geschehen sollte, gibt der Lehrperson eine Orientierung und zeigt ihr einmal mehr die Tragweite ihres täglichen Handelns auf.

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