Mehr Selbstvertrauen dank Mut – oder umgekehrt

Ohne Vitamin C, das zum Beispiel in Orangen enthalten ist, werden wir krank. Ohne Ermutigung übrigens auch

Das Selbstvertrauen des Kindes, sein persönlicher Mut ist sein grösstes Glück.» Dieser bedenkenswerte Satz stammt von Alfred Adler aus dem Jahre 1904. «Mutige Kinder werden auch späterhin ihr Schicksal nicht von aussen erwarten, sondern von ihrer eigenen Kraft», setzte er fort. Seit 1904 hat die Psychologie zahlreiche Konzepte entworfen, welche Adlers Überlegungen aufgreifen: Selbstwirksamkeitserwartung, Selbstwert, Fähigkeitsselbstkonzept oder Ich-Stärke sind psychologische Begriffe, die gleichermassen in die Richtung weisen, dass Mut eine wichtige emotionale Voraussetzung ist, damit Menschen sich trauen oder fähig sind, etwas zu wagen. Wenn für eine Sache viele Begriffe existieren, ist dies ein Hinweis für ihre Bedeutung. Für den Aufklärer Immanuel Kant war der Mut, sich seines «eigenen Verstandes zu bedienen», eine Voraussetzung für wirkliches Menschsein. Ganz ähnlich tönte es bei Vincent van Gogh, als er fragte: «Was wäre das Leben, hätten wir nicht den Mut, etwas zu riskieren?»

Nach diesen Gedankengängen erstaunt es nicht, den Mut in zahlreichen Alltagszusammenhängen wiederzufinden. Fussballteams wünschen sich sehnlichst, von ihren Fans lautstark ermutigt zu werden. Roger Federer oder Novak Djokovic sprechen sich selber mit für sie typischen Gesten nach erfolgreichen Schlägen Mut zu: Es geht, so schaffe ich es! Weitspringer und Weitspringerinnen leiten die Zuschauenden jeweils dazu an, ihre Sprün-ge mit rhythmischem Klatschen zu orchestrieren. Die verbreitetste «Mut-Geste» im Alltag ist wohl das Schulterklopfen: «Nur weiter, so gelingt es Dir schon!» - diese Botschaft wollen wir in Augenblicken der Ungewissheit und des Zweifels vermitteln.

Schwierigkeiten zeigen Ermutigungsbedarf

Damit ist zugleich eine zentrale pädagogische Grundhaltung angesprochen: Kinder und Jugendliche stehen täglich vor Situationen des Noch-nicht-Könnens. Sie zweifeln daran, ob sie die nächste Prüfung schaffen, sie sind nicht sicher, ob sie einen ihnen zusagenden Beruf bzw. eine Lehrstelle finden werden. Deshalb brauchen sie den Mut und die emotionale Kraft, ihre Ziele weiterhin anstreben zu können. Die erfahrene Kindergärtnerin Monika Berger betrachtet die Schwierigkeiten ihrer Kinder darum als hilfreiche Hinweise dafür, dass in einer gewissen Hinsicht ein Lern- und Ermutigungsbedarf zum Vorschein gekommen ist. Sie schreibt: «Jede Schwierigkeit eines Kindes rührt daher, dass es noch nicht gelernt hat, sich anders zu benehmen und zu verhalten. Dies trifft zu, wenn ein Kind noch schüchtern ist, ein anderes sehr vorlaut, ein drittes nicht teilen will, und ein viertes wenig Deutsch spricht. Ich ermutige die Kinder jeweils, ihre Schwierigkeiten zu überwinden, und freue mich dann sehr über ihre Fortschritte. Sie gewinnen dabei eine immer klarere Vorstellung vom Lernen, und schlussendlich nehmen sie ihre Entwicklung bewusst als einen Lernprozess wahr.»

Leben trotzdem selber steuern

Diese bewusste Wahrnehmung und Steuerung der eigenen Entwicklung ist auch Christian Lohr gelungen. Als CVP-Nationalrat gelang es ihm am 12. Dezember 2012, die Sparschraube bei der IV zu lockern, so dass die Behinderten wie heute ab einem Invaliditätsgrad von 70 Prozent die volle Rente erhalten sollen. Der Zürcher «Tages-Anzeiger» kommentierte darum am 13. Dezember: «Erreicht hat dies Christian Lohr (CVP, TG), der aufgrund einer Contergan-Schädigung auf einen Rollstuhl angewiesen ist, jedoch keine IV-Rente bezieht. Lohr warnte davor, dass Schwerstbehinderte empfindliche Rentenverluste erlitten, wenn, wie vom Bundesrat und Ständerat beschlossen, erst ab 80-prozentiger Invalidität die Vollrente bezahlt werde.» Lohr wurde am 5. April 1962 als Contergan-Opfer geboren, kam ohne Arme und mit zwei nicht voll ausgebildeten Beinen auf die Welt. Seine Eltern gaben jedoch nicht auf, sondern behielten ihre positive Grundeinstellung, dass ihr Sohn trotz schwerster Behinderung seinen Weg ins Leben finden werde. Dieser konnte 1987 schreiben: «Und diese positive Grundeinstellung mit Optimismus und Zuversicht, die ihre Wurzeln sehr tief hat, ist zu meinem Lebensbegleiter geworden. Für mich ist meine Behinderung, die mich für immer an den Rollstuhl fesselt, nicht ein Schicksalsschlag, sondern vielmehr eine Chance, im Leben eine ganz bestimmte Aufgabe zu erfüllen.» Genaueres zu Lohr findet man in Jürg Fricks Buch «Die Kunst der Ermutigung» oder auf der Homepage www.lohr.ch. Lohrs Leben veranschaulicht die Tragweite des Mutes im menschlichen Leben auf eindrückliche Weise.

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